Nun, Frauen an sich sind mir ein Rätsel. Ich mag die meisten davon wirklich gerne, nur irgendwas hat sich da in den letzten Wochen, Monaten oder vielleicht schon Jahren geändert, ganz heimlich und schleichend. Es war zunächst kaum festzumachen, aber doch war es da. Und nun, nun ist es nur allzu deutlich geworden. Man muß sich nur einmal in eine Fußgängerzone in ein Café setzen und die Augen aufhalten, am Besten mit einem guten Buch und einer Tasse leckerem Tee. Und dann fällt es sofort auf.
Schau Dir nur mal die heutigen Hennes & Mauritz – Zombies an. Furchtbar. Einfach nicht der Typ Frau, den ich mag. Der Typ, den ich total klasse finde, der ist ausgestorben, oder wird zumindest nicht mehr gebaut. Gibbet einfach nicht mehr. Findeste kaum noch. Es ist der „Jeansjackenfrauentyp“. Du erinnerst Dich? Diese Mädels mit Doc’s (9-Loch, schwarz), von mir aus sogar mit Tigerente unten eingeflochten im Schnürsenkel, blauer 501, Fruit of the Loom – Kaputzenshirt (bordeauxrot oder so), Jeansjacke, blondem oder rotblondem Zopf, manchmal auch braun (dann aber grünes Fruit of the Loom – Kaputzenshirt). Nikituch um den Hals? Armeerucksack. Und bei schlechtem Wetter noch die obligatorische blaue Regenjacke. Zur Not auch rot oder schwarz. Aber falls das Wetter gut sein sollte, ohne Regenjacke und Kaputzenshirt, dafür mit Bad Religion, Pearl Jam oder Nirvana-T-Shirt, schwarz natürlich.
Tja, die Mädels, also davon am besten noch die erste Generation, die fand ich immer total klasse. Und heute besonders. Weißt Du, das sind Frauen, die jetzt so 20, 21 sind (alle, die jünger waren, sind noch auf den H&M – Zug aufgesprungen und laufen jetzt mit Plateauschuhen herum), die noch Ahnung von guter Musik haben (Dir noch durch die Bank 3 Titel von Bon Jovi VOR der Crossroads nennen können, denen „To Be With You“ noch was sagt, die „More Than Words“ lieben und „Tears In Heaven“ Wort für Wort mitsingen können), die einfach noch wissen, wie gute, handgemachte Musik klingen muss.
Und die meisten davon können noch selbst Musik machen, wann immer sie eine Gitarre sehen, stürzen sie sich auf diese mit den Worten „Ich kann auch spielen!“ und klimpern das Riff von „Smells Like Teen Spirit“, das ihnen irgendein Ex in irgendeinem Park oder auf irgendeiner Freizeit auf irgendeiner Wiese gezeigt hat. Tja, da reicht halt ’ne poplige Gitarre vom Pfandleiher in England für aus. Stellt Euch nur mal die H&M-Monster vor, wie sie versuchen, Blümchens neuen Hit in genau dieser Umgebung nachzuspielen. Vor lauter Generatoren und Effektracks erkennen die doch nicht mal das Keyboard, geschweige denn den Gesangsprozessor. Sind halt keine Jeansjackenfrauen.
Tja, und diese Frauen haben noch Ideale. Gehäuft findet man diese Menschen in Jugendarbeit oder Musikgruppen, das sind Leute, die zwischen Generation-X und Generation-@ aufgewachsen sind, die wissen, was ein CD-Player, aber nicht, was Cybersex ist. Frauen, die nicht auf die Sonnenbank pilgern, um einen Hauch von Ghetto-Look zu bekommen, oder ihren Körper mit Piercings verwüsten, um so auszusehen wie der typische „Alternative“ – Fan, wie ja heute jede Form handgemachter Musik gelabelt wird. Wenn Bon Jovi heute das Debüt veröffentlichen würden, die Jungs wären Alternative.
Früher, da war dieser Look einfach gang und gäbe, man mußte jetzt kein Freak oder Rebell sein, um das zu tragen, da traute man sich noch Chucks zu tragen und gab ein Heidengeld dafür aus, da gab es noch keine Airwalks und Skater-Klamotten (das, was ich zur Not auch noch tragen würde), geschweige denn, enge Bodyshirts für ihn oder diese bauchfreien, meist mit Synthetik-Blusen [transparent] leicht verhüllten Teile, oder diese eng gestreiften engen Hosen von H&M, die im Winter 96/97 rauskamen. Damals waren 501 noch Statussymbole und geblümte Doc’s auch noch Viva-kompatibel, damals durften so Leute wie Phil Daub noch mit langen Haaren auf den Äther. Oder Gerd Krieger. Wah-Wah, oder wah², wie es jetzt ja heißt, wurde ja jetzt schon seit längerem ins „Rentnerghetto“ Viva2 verbannt.
Tja, und so eine Frau suche ich halt, keine dieser Disco-Rap-H&M-Boygroup-Tussen. Und als dann noch die Plateauschuhe kamen (warum Plateau, wenn man auch High-Heels tragen könnte, so 80s-like. Damals sahen die Frauen und vor allem die Beine der Frauen da immer klasse drin aus. Mini und High-Heels), dann war’s ganz aus. Denn mit den High-Heels gingen auch die Röcke (außer in Discos) und wichen diesen SSS [sichtbarer Slip-Saum]-Hosen, Kunstfaser natürlich. Und als dann selbst die Eastpack-Rucksäcke verschwanden und diesen Umhängehandtaschenteilen wichen, da wußte ich: Christian, Du wirst alt.
Tja, aber so Frauen wie Elisabeth Shue in Back to the Future II und III werden halt nicht mehr gebaut. Gibt’s nicht mehr; obwohl die 15jährige Freundin eines Kumpels von mir hat sogar noch zwei Jeansjacken im Schrank hängen. Fast ganz hinten, neben den engen H&M-Hosen allerdings.
Es paßt da halt bei der Jeansjackenfrau alles zusammen, Verpackung und Inhalt. Man hat sich noch etwas zu sagen. Gemeinsame Erfahrungen einer Generation. Keine verlotterte Sprache wie bei weiblichen Chefredakteusen, kein „wie“-Komperativ. Das sind noch Typen, mit denen kannst Du um ein Lagerfeuer herumsitzen, reden, trinken, Spaß haben. Kann man doch mit den Kindern heute gar nicht mehr. Die Kunstfasern würden doch alle beim ersten Funken Feuer fangen. Und man hätte ja keinen Schminktisch griffbereit. Jeansjackenfrauen brauchen kein Make-Up. Das sind Kumpeltypen, die keine Bauernmalerei auf zwei Beinen sind.
Jeansjackenfrauen, die wissen noch, wie man sich ordentlich und sauber die Kante gibt. Die machen wenig Aufheben um solch unwichtige Dinge wie „Ambiente“ und so. Mit denen kann man feiern, egal ob der Schuppen, in dem man gerade ist, die neuste Lasertechnik onboard hat oder hier DJ soundso auflegt. Die rauchen ihr Gras und gut ist. Die brauchen keine Synthetikdrogen. Denen reicht zur Not auch Bier. Keine Mixgetränke oder Cocktails. Kölsch. Das ist gemixt genug. Ganz egal, wo das ist. Das müssen keine stillgelegten U-Bahn-Schächte sein, da reicht ’n ganz normaler Keller oder ’ne Wiese, irgendwo.
Und wenn’s dann da noch ’nen Sternenhimmel gibt, dann erklären sie Dir, wie Du dich anhand des Polarsterns und Cassiopeia zurechtfindest. Oder, wenn Du den Sternenhimmel und die Navigation von Seefahrzeugen aller Art auf Basis der Sterne und Sonne beherrschst, kannst Du Dich auf eine politisch-moralisch-soziologische Diskussion auf höchstem Niveau freuen. Jeansjackenfrauen, die haben es nicht auf der Stirn, die haben es dahinter. Die haben Ahnung von der Welt, sind rumgekommen. Können nicht nur Ghetto-Deutsch, sondern sich in zehn Sprachen ihr Bier bestellen. Und dabei noch lachen und rumalbern. Ja, wenn Jeansjackenfrauen erst mal in Stimmung sind, dann ist die Handtuch-, Wachsmaler-, Kopfkissen- oder Schneeballschlacht nicht weit. Das machen H&M-Monster nicht mit; könnte man ja uncool bei wirken oder sich, schlimmer noch, einen Nagel abbrechen.
Ihr wahres Talent zeigen Jeansjackenfrauen aber immer erst in der Nähe von Kindern. Wenn Du das erste Mal ’ne Jeansjackenfrau siehst, wie sie mühelos zehn Kinder an ihren Armen hängen hat, die in zehn unterschiedliche Richtungen zerren, unbedingt dies und jenes sehen müssen und jetzt aber sofort und gaaaanz dringend mal wohin müssen, während Du gerade durch die grösste Stadt im Umkreis von hundert Kilometern läufst oder an den gefährlichen Klippen des Atlantik, und die Frau die Kids in nullkommanix mit einer tollen, spannenden Geschichte besänftigt, dann weißt Du, sie ist es, die die Mutter Deiner Kinder werden soll.
Und ja, ich kenne solche Frauen. Immer wieder sind sie mir in den Jahren, als ich mich selbst noch nicht traute, in Doc’s und Jeansjacken herumzulaufen, begegnet, auf zahllosen Zeltlagern und noch zahlloseren Parties habe ich sie gesehen und kennengelernt, die Hannahs, Kathrins, Silkes, Katharinas, Nicolas, Anjas, Claudias, Nicoles, Christines dieser Welt. Erst vorvorletzte Woche ist mir noch ein Exemplar dieser Gattung begegnet. Nur die ist leider vergeben.
Christian Louis, 1999