Ich werde langsam alt. Das merke ich insbesondere daran, dass ich das Internet schon gefühlte 10 Jahre verwendet habe, bevor mein aktuelles Unwort aufkam. Zu diesen Zeiten verwendete man noch Suchmaschinen wie Hotbot oder AltaVista, wählte sich neben dem ISP auch noch via Modem in Mailboxen ein und ungefähr zu dieser Zeit ging Google online.
Ich kann mich also noch an Zeiten erinnern, zu denen Menschen, die HTML schreiben konnten (und ja, ich meine die vier Buchstaben), als Webdesigner mittlere vierstellige Monatsgehälter bei dotcom Firmen abgegriffen haben und mir Praktikantengehälter angeboten wurden, die deutlich über dem derzeitigen durchschnittlichen Absolventeneinstiegsgehalt von FH-Studenten liegen.
Leider scheint man aus der Vergangenheit nicht gelernt zu haben und auch derzeit grassiert wieder eine unheimliche Volksverdummung in der IT.
Es begann recht unspektakulär mit dem Begriff Blogosphäre (zu dem Zeitpunkt habe ich das, was man landläufig inzwischen bloggen nennt, schon ca. ein Jahr betrieben) und Menschen, die sich selbst als Blogger bezeichneten.
Weiter ging es mit Leuten, die von social communities sprachen und als dann wieder nach der großen dotcom Pleite langsam aber sicher Geld in der IT zu holen war, ging es mit social communites und user based content weiter.
Inzwischen sind wir im zweiten oder dritten Internetzeitalter angekommen, dass von Webworkern mit fragwürdigem Ausbildungshintergrund, sich selbst viel zu ernst nehmenden Web2.0 Mädchen, die CSS “programmieren” und 19jährigen SEO-“Experten” nur so wimmelt.
Niemand dieser Personen kann trennscharf und sauber definieren, was denn hinter user based content, Communities, sozialen Netzwerken und allen Technologien rund um rich internet applications steckt und wofür der von dieser Zielgruppe aber gern bis zum Bersten strapazierte Web2.0 Begriff denn wirklich steht. Aber, es ist bestimmt sehr wichtig und total trendy. Und klar, man kann auch gutes Geld damit machen.
Auch ich maße mir eine Definition nicht an, aber ich bezeichne mich auch nicht als Web 2.0 Experte. Doch, Web 2.0 klingt sehr hip, agil, neu. Das muss man unbedingt haben und ein, zwei erfolgreiche Beispiele zeigen dann auch ganz schnell, dass man mit ein bisschen Venture Capital auch ganz ohne gute und neue Ideen schnell zu Geld kommen kann.
Doch, leider ist es nicht so einfach und derzeit zerplatzt – gottseidank oder leider – die eine oder andere Blase.
Ein Weblog macht noch kein Web2.0 aus, und nur weil ich Belanglosigkeiten in twitter tippe, heißt das auch noch nicht, dass ich besonders trendy bin.
Allerdings sehen das die oben beschriebenen Web2.0-It-Boys und -Girls doch stark anders und finden sich selbst und ihre Netzwerke und Hypes massiv spannend. Da werden Businesspläne rund um die x-te social community geschmiedet, wird die Emanzipation via twitter und Xing auf den Kopf gestellt, werden Web 2.0 Frauenabende und twitterlesungen veranstaltet und Werkzeuge zum Selbstzweck umgemodelt.
Ich rege mich darüber auf, dass Menschen über ein 140 Zeichen-Broadcast-Kommunikationsmedium gefühlte 140 Fragen beantworten, sich aber offenbar noch nie Gedanken darüber gemacht haben, was sie mit einem 140-Zeichen-Broadcast-Werkzeug denn eigentlich bezwecken wollen.
Nicht wütend, vielmehr traurig macht mich aber der Gedanke, dass Menschen mit Metadiskussionen und Metadienstleistungen und einer gesunden Menge Hokuspokus davon ausgehen, dass eine derzeit halbwegs passable Einnahmequelle wirklich substanziell über die nächsten Jahrzehnte einen ernsthaften Beruf ersetzen kann.
Es mag sein, dass ich Werkzeuge wie twitter einfach nicht “richtig” verstanden habe*, dass ich selbst einfach noch nicht wirklich die Blogosphäre für mich erobert habe und ich überhaupt erstmal ein Barcamp, eine Twitterlesung oder eine re:publica mitmachen muss, um das Ganze so wirklich zu verstehen. Allerdings habe ich Angst, auf die oben beschriebene gefährliche Mischung aus Halbwissen, Dreiviertelarroganz und voll-immer-dabei-sein zu treffen. Networking alleine reicht eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann braucht auch das tollste Netzwerk mal Inhalte.
Wenn ich mir diesen Hype um den vagen Begriff Web 2.0 anschaue, habe wirklich das Gefühl, da was nicht ganz verstanden zu haben.
Und wie ich ja schon vor einiger Zeit berichtet habe, ist es nicht etwa so, als würde ich mich den neuen Kommunikationstools verschließen. Im Gegenteil, ich nutze sie. Aber, sie sind eben für mich kein Selbstzweck.
Ich nutze sie primär für das Ziel, was ich mit diesem Weblog seit Projektstart Küchenserver verfolge und das für mich auch das wichtigste Element einer social community ausmacht: Ich möchte gerne Menschen, die ich im wirklichen Leben zu meinen Bekannten oder Freunden zähle, die Möglichkeit geben, mit mir in Kontakt zu treten und ein bisschen darüber zu erfahren, was gerade in meiner Gedanken- oder Lebenswelt vorgeht. Als Nebeneffekt fallen dabei ab und an auch noch Berichte und Bewertungen über erlebte und besuchte Orte ab.
Nicht mehr, nicht viel weniger. Aber, das ist eben wohl nicht trendy genug. Und für einen Businessplan reicht das wohl auch nicht aus.
Vielleicht brauche ich da ja doch mal die Hilfe eines Webworkers.
*Nils (der aus Hamburg) gehört übrigens auch zu diesen twitter-Nichtverstehern, wie er selbst “zugibt“. Ebenfalls eine erfrischende hypefreie Meinung.